Zeitzeugen

Zeitzeugen: Stefan Kritsch (links) und Karl Förstl

Ludwig Fingerhut

Auszug aus dem Zeitzeugengespräch im Hotel Check In mit Karl Förstl (F) und Stefan Kritsch (K)

Herr Förstl und Herr Kritsch sind 1927 geboren.
Gesprächsleitung: Stefan Ehrenreiter (E)

E: Reden wir über Brauchtum und über bäuerliche Tätigkeiten wie: Körbe flechten, Besen binden, Federn schleißen, Kukuruz rebeln, Drischel dreschen, Bürtel hacken.

F: Kukuruzernte: Die Kolben wurden mit der Hand heruntergebrochen und auf den Anhänger geschmissen. Zuhause wurde abgeladen. Die Kukuruzrebler sind zusammengekommen, es wurde gesungen, Witze wurden erzählt, und es hat oft bis mitten in die Nacht hinein gedauert. Zum Schluss, wenn man mit der Arbeit fertig war, gab es so ähnlich wie beim Federnschleißen einen "Zipf". Die Helfer wurden wie beim Federnzipf eingeladen. Die Arbeiter bekamen fürs Rebeln oder Schleißen keinen Lohn. Es wurde gebacken, und es gab reichlich zu essen und zu trinken als kleine Belohnung. So wie heute noch vergleichbar mit der "Lesgans".

K: Neben der Wulka habe ich einen Kukuruzacker gehabt. Beim Abernten wurden einzelne Kolben oft zu einem Zopf verflochten. Stefan Kritsch und Karl Förstl (1927)

Zwei Kukuruzblätter ließ man am Kolben und band diese auf einem Draht zusammen, bis es einen ganzen Zopf ergab. So wurde der Kukuruz zum Trocknen aufgehängt.

F: Am Heideboden war der Brauch, den Kukuruz in sogenannten "Reischen" (Tschardaken) zu trocknen und aufzubewahren. Ein Gestell aus Latten, in das der Kukuruz hineingeschmissen wurde zum Trocknen. Es gab auch ein Dach zum Schutz vor Regen. Das kann man heute noch in Halbturn sehen. Bei uns wurde der Kukuruz auch oft im Stadel auf einem trockenen Platz zum Trocknen aufgehängt. Im Winter, wenn der Kukuruz trocken war und man ihn gebraucht hat, verwendete man später schon einen "Rebler". Beim "Rebler" wurde der Kukuruz oben hineingeworfen, die Körner sind unten heraus gekommen, und der Kolben ist in ein Extrafach gefallen.

K: Federnschleißen war auch sehr interessant: Meistens waren es die Frauen, die sich zum Schleißen der Gänsefedern trafen. Viele Familien hatten damals Gänse oder Hühner. Die Federn und die Daunen wurden von den Kielen herunter gerupft. Dabei wurde viel erzählt und getratscht. Es dauerte ganz schön lange, bis man genügend Federn für einen Polster oder eine Tuchent beisammen hatte. Wir Buben fingen  Interessantes 557 Interessantes 557 Spatzen, machten dann bei den "Federnschleißern" die Tür auf und ließen die Vögel hinein fliegen. Natürlich wirbelten dann alle Federn im Raum herum, die Frauen schrien, und wir hatten unseren Spaß. Federnschleißen war eine sehr gesellige Arbeit, man vertrieb sich auf diese Weise die langen Winterabende. Wenn man mit der Arbeit fertig war, wurde gefeiert. Auf den "Federnzipf" freuten sich immer alle.

F: Damals gab es keinen Fernseher. Als Buben sind wir im Winter bestimmt 2- bis 3-mal in der Woche zu Verwandten gegangen. Wir waren beim Onkel, dem Fleischhacker. Wir haben damals dort, wo heute die "Goaß" steht, gewohnt. Meine Mutter und der Ackermann Robert waren Geschwister. In der Küche sind wir beisammen gesessen und haben Karten gespielt, erzählt, geraucht, getrunken, und dann sind wir wieder nach Hause gegangen. Regel mäßige Treffen waren so sicher wie das Amen im Gebet, und es war auch immer sehr gemütlich. Der Verwandtenbesuch war früher überhaupt gang und gebe. Das gibt's ja heute nicht mehr so oft. F: Radio hat es schon gegeben, aber spärlich. Die Nachrichten aus aller Welt, wie heute, gab es früher auch nicht. Über die Politik war nicht viel zu hören. Die "gehobene" Politik hat auch früher in der Gemeinde keine große Rolle gespielt. Die meisten Leute waren auch nicht darüber informiert und haben auch nicht so viel Zeit gehabt wie heute. Dafür war die Dorfpolitik wichtiger.

E: Wie war es mit der Getreideernte?
F: Bei der Getreideernte ist alles mit der Hand niedergemäht worden. Dahinter kamen dann die Frauen, hoben alles auf und banden die Frucht zu sogenannten Garben zusammen. Die Garbe ist dann liegen geblieben, und wenn die Ernte fertig war, wurden jeweils 20 Garben zu einem Kornmandl zusammen gebunden. Am Feld ist es dann so lange geblieben, bis das Stroh trocken war. Es wurde dann in die Scheune gebracht und gedroschen. Sommer und Kolocani hatten bereits einen Drescher. Die "Dreschgesellschaft" war so wie heute die Winzergenossenschaft. Die Bauern waren alle dabei. Herr Hoffmann war der Geschäftsführer.

Die Ernte hat einen Monat lang gedauert.

Die Maschinisten waren ganz wichtig. Die haben die Maschinen geschmiert und gewartet. Zur Dreschmaschine sagte man auch Dreschkasten. Diese wurden über Treibriemen von einer Dampfmaschine oder später von einem Elektromotor oder einem Traktor angetrieben.

K: Der Maschinist hat ein Hendl oder Schnitzel zur Jause bekommen, die Drescher und Arbeiter haben einen Sterz bekommen oder oft auch gar nichts. E: Die Maschinen waren ja schon eine Errungenschaft, aber ganz früher wurde ja noch mit dem Dreschflegel gedroschen. K: Das "Drischeldreschen" wurde von Taglöhnern oder von Inwohnern ausgeführt. Oft bekamen sie dafür bis zu 10 % der Ernte. Man musste den Drischel durch die Luft schwingen und mit dem Flegel auf die Ähren schlagen, dass die Körner herausspritzten und auf den Boden fielen. Die Drescher standen im Kreis herum und ließen ihre Flegel im gleichmäßigen Takt herniedersausen. Das Stroh fand Verwendung im Weingarten. Plastik hat es damals noch keines gegeben. Die Reben der Stockkultur wurden mit dem Stroh angebunden. "Ich hatte Tagwerker aus Mörbisch, die haben sich so viel verdient, dass sie mit ihrem Anteil den ganzen Winter über ihr Brot backen konnten."

F: Beim Drischeldreschen ist die Frucht am Boden liegen geblieben. Die Errungenschaft war dann der Drescher, der hat die Frucht dann schon sortiert. Die Qualität der Frucht war ja nicht immer gleich. Es hat eine 1er-, 2er-, 3er- und 4er-Qualitätsstufe gegeben, und die hat die Maschine sortiert. Die Frucht wurde dann von den Helfern in den Schüttkasten getragen. K: Beim Drischeldreschen war man meist zu dritt. Wenn die Frucht ausgedroschen war,  Interessantes558 558 brachte man diese zu einem Windrad, das die Spreu vom Weizen trennte.

Am Seehof lebten während der Sommermonate an die 250 Leute. Die Arbeiter kamen aus dem südlichen Burgenland, sie brachten ihre Familien mit. Die Kinder sind mit uns in die Schule gegangen. Im südlichen Burgenland gab es zu wenig Arbeit, deshalb kamen die Menschen zu uns als Saisonarbeiter. Rüben und Kukuruz sind früher mit der Hand bearbeitet ("gschert") worden. Am Seehof mussten 50 Joch Rüben mit Hauen bearbeitet werden. Das Ausnehmen erfolgte ebenfalls händisch. Maschinen gab es damals noch keine. Die Rüben wurden aus der Erde gezogen, die Blätter abgeschnitten und auf einen Haufen zusammengeworfen. Mit einem Pferdewagen wurden sie dann zum Bahnhof gebracht. Die Zuckerrüben kamen damals nach Siegendorf in die Zuckerfabrik.

Im Ort gab es zu wenig Kukuruz, deshalb kamen die sogenannten "Kukuruzkrowodn" zu uns, sie sind mit dem Pferdewagen durch den Ort gefahren und haben gerufen: "Der Kukuruzkrowod is do, kafts ma wos o!" Kukuruz war notwendig, um das Vieh zu füttern.

Der Tauschhandel blühte zu dieser Zeit.

F: Während der Wintermonate gingen die Leute in den Wald "Biadlhok`n". Diese Bürtel hat man dann in den Seewinkel gebracht und dort verkauft oder gegen andere Waren eingetauscht. Der Wald war zu dieser Zeit wie geputzt. Die sogenannten "Kreinznweiba" waren unterwegs, und es ist kein Stammerl Holz liegen geblieben, obwohl es offiziell verboten war. Der Scherr-Jaga, er hatte den Beinamen "Kreinznjaga", drückte des Öfteren ein Auge zu. E: Reden wir über frühere Gewerbetreibende! F und K: Fangen wir ganz unten an: Mutsch Franz, Zimmermann (30 - 35 Leute beschäftigt); Baumeister Gruber; neben dem Baumeister hatten Hans und Fredl Gölles ein Sägewerk und eine Schrotmühle (im Sägewerk wurden große Bäume aufgeschnitten und zu Parkettböden verarbeitet); Gasthaus Weißenbäck (ehemaliges Gemeindegasthaus, ein Einkehrgasthaus mit einem Stall bis zu 10 Pferden zum Einstellen), das zweite Gemeindegasthaus war dort, wo heute der Roman Dieter zuhause ist (Schulgasse), nannte sich das "Nigl"-Gasthaus, vormals Gasthaus "Fasching"; Luif Schuster; Greißlerei Schratzenthaler, hatte auch das Postamt (mit einem Einspänner ist er jeden Tag zum Bahnhof gefahren, um die Post zu holen).

K: Dann kamen schon wir mit unserer Schmiede. Der Betrieb geht zurück bis in das Jahr 1650. Als nächstes kam das Kaufhaus Salzer (Jude) mit Weinhandel und Steckenhandel. Salzer ist von Lockenhaus nach Donnerskirchen als Fenstermacher gekommen. Er hatte einen Buckel korb auf dem Rücken mit verschieden großen Glastafeln und hat bei den Leuten die Fensterscheiben ausgewechselt. Er hat sich in Donners kirchen angesiedelt, hat sich von meiner Großmutter Geld ausgeborgt und ein Geschäft aufgebaut. Am Schluss war er so reich, dass schon das halbe Burgenland bei ihm Schulden hatte. Während der Hitlerzeit konnte er nach Argentinien auswandern. Die Kinder haben auch in Argentinien einen Textilhandel und Glashandel aufgebaut. F: Nach dem Salzer war die Dreifaltigkeit, das Spritzenhaus und dann kam das Kriegerdenkmal, danach die Bäckerei Piccolo (Haus Kögler), Der nächste Gewerbetreibende war der Friseur Palheim (Suchentrunk-Haus), dann die Greißlerei Kauschky (später Kaufhaus Schneider), die Schmiede Udulutsch, auf der anderen Seite des Baches war die Schmiede Ruisz (heute Haus Sommer Walter), die Schneiderin Ehrhardt, die Bäckerei Kopf (vormals Apotheker Kos, heute Löwenhof). Hinter der kleinen Kirche ist noch heute der Pfarrhof, daneben war die Volksschule (wo heute der Parkplatz ist).

Im "Sauzipf" hatte Josef Mutsch seine Tischlerei, Anna Gölles hatte eine Schneiderei, dann kam schon die Apotheke.

In der heutigen Eisenstädter Straße war die Fassbinderei Gölles (neben Josef Meier). Neben Gölles war der Friseur Koller.

In der Hauptstraße, linke Seite, war die Bäckerei Ignaz Zimmermann, der Friseur Koller (heute Haus Schmidt Gerhard).

Der untere Teil vom Meierhof wurde an Josef Ehrhardt und Josef Reiter verkauft (später Kaufhaus Josef Reiter bzw. Kaufhaus Josef Pfeifer). Reiter hat als Kaufmann neben der Schmiede Kritsch angefangen. Die jungen Schratzenthaler haben das Geschäft verkauft und sind nach Toronto ausgewandert. Sie haben neben der Greißlerei auch die Trafik dabei gehabt. Zigaretten konnte man stückweise kaufen. Josef Reiter nahm das Kaufhaus in Pacht und hat sich durch seinen Fleiß ziemlich empor gearbeitet.

Die Greißlerei Wälisch (Jude, kam im KZ um) war in der Bergstraße (später Kaufhaus Liegenfeld). Der Nachfolger im Kaufhaus Salzer wurde der Kaufmann Polsterer.

K: Mein Urgroßvater war ein "Huidera" (Hüte-Erzeuger Super). Sein Geschäft war in der Johannesstraße (heute Haus Wilhelm Aigner). Er hat seine Filzhüte auf Märkten verkauft.
F: Da wo ich heute wohne, war früher das Gemeindeamt. Die Fleischerei Gruber war dort, wo heute Hans Neumeyer seine Vintage hat. Das letzte Haus der Johannesstraße war die Fleischerei Ackermann.
K: Zu Ostern haben die Fleischer einen Sauschädel mit einem roten Osterei im Maul in die Auslage gelegt. In da Schui homa domois "Spundes" g'hobt. Nit amol schief schaun host deafa, host scho a Fotzn g'hobt. Ois Schüla hob i amoi a Plakat beim Kaufhaus Kauschky owag'rissn. Die Frau Kauschky hot's dem Lehra Karpf dazöit. Am nächstn Tog packt mi da Lehrer beim Ohrwaschl und frogt: "Bisto, wo host'n taun?" "Nix." Brack, hob i schau uani g'hobt. Zaht a mi außi beim Ohrwaschl. "Host nit a Plakat owag'rissn?" "Jo." Hot a ma nau drei owazuntn. Gaunz blau wor i. Und wir i huam keima bin homs g'sogt: "Umasunst host as nit kriagt!" - So woas friacha.

F: Nach der Fleischerei Ackermann war der Pfarrhof, daneben die Schule, dann wir (Haus Förstl) und das Haus von Anna Scherr. Dann kam das Gemeindegasthaus Fasching. Hinauf zu war die "Meistergasse" ("Blunzngasse", heute Schulgasse). Bäckermeister Stefanitsch, Schneider Mahr, Schuster Ernst, Wagnermeister Schalk, etc.

Die erste Schule war das Haus von der Lizzi (heute Haus Bencic Werner), dann kam die Schlosserei Leeb in der Bergstraße neben der Greißlerei, Michael Liegenfeld. Der Milchapparat, die Milchgenossenschaft (heute Appartmenthaus Bencic Wolfgang) kam anschließend. Die Vorfahren von Liegenfeld betrieben ein Kaffeehaus (heute Häuser Ackermann und Rohrer). Als nächstes gab es die Rainer-Mühle (heute Haus Nemeth) und das Kaufhaus Kopf Ferdinand (die Mitzi-Tant war seine Schwes ter). Noch weiter hinten waren die Besenbinder zu Hause.

K: Apropos Besenbinder, reden wir über das "Wiedl". Es gibt drei "Wiedl". Eines braucht man zum Besen binden. Wenn ein starkes Gewitter niedergeht, sagt man: "Do is a Wiedl niedagaunga". Und das dritte Wiedl braucht man, wenn man Zeuge eines Streites wird "Do hot's a Wiedl geb'n". F: In der Hauptstraße ganz hinten war die Waldschänke (eine Filiale des Gemeindegasthauses unter Pächter Fasching, später Gasthaus Karl Reichardt). K: Wenn der Florianikirtag war, war das immer richtig feierlich. Das Gasthaus Reichardt war ein beliebter Treffpunkt für Jung und Alt. Weiter vorne gab es die Tischlerei Karl Ehn, den Schuster Stefan Liegenfeld und vis a vis von ihm war eine Filiale vom Kaufhaus Gruber. Die Schneiderei Richtscheid war dort, wo heute der Malermeister Schuster seinen Betrieb hat. Richtscheid war vorher in der Johannesstraße (heute Haus Franz Kögler). Der Büchsenmacher Franz Rohrer war in der Dr.-Hubergasse zu Hause (heute Haus Stolovits). An der Ecke war der Wagnermeister Pumpler. Die Zimmerei Josef Ehn war auf der anderen Seite des Baches (heute Haus Berthold Lentsch). Dann kam das Gasthaus Ernst, (später Engel, seit 1989 Cafe Flair, Karl Steurer). Dahinter war der Schuster- betrieb Gabriel Udulutsch (früher hatte er seinen Schusterbetrieb im Haus Franz Eiweck). Ein Schusterbetrieb der Brüder Udulutsch war auch im hinteren Teil des Hauses Striok Johann

F: Im Meierhof war während des Krieges und auch noch danach eine Schulklasse untergebracht. In der Wiener Straße gab es nur die Schlosserei Karl Schalk.

Die Geschäftsleute waren früher sehr geschickt und konnten für vieles eingesetzt werden. Sie nahmen sich einfach noch mehr Zeit für alles.

K: Sieben Chorleiter habe ich hinter mir. Bei jedem Begräbnis habe ich gesungen, und wenn es noch so "gnädig" war. Bei der Feuerwehr bin auch, da war ich 30 Jahre lang für die Geräte zuständig.

E: Das Gespräch in voller Länge wiederzugeben, würde den Umfang unserer Chronik sprengen. Der Geschichteverein wird aber das Zeitzeugendokument bei anderen Gelegenheiten, z.B. in Form eines Jahrbuches, Interessierten zur Verfügung stellen. Danke den beiden Herren für ihre ausführlichen Berichte.

Es war ja fast wie früher, sich Zeit nehmen, miteinander plaudern, ein gutes Glaserl Wein trinken, lachen und dem anderen zuhören. Eine Zeitreise in die jüngste Vergangenheit unseres Ortes.